Die Humanistische Union präsentierte am Montag, dem 18. April 2011, in Berlin die Ergebnisse einer von ihr initiierten Untersuchung über die allgemeinen Staatsleistungen an die katholische und die evangelische Kirche. Beide Kirchen zusammen haben demnach seit dem zweiten Weltkrieg von den deutschen Ländern (mit Ausnahme von Hamburg und Bremen) Staatsleistungen in Höhe von rund 14 Milliarden Euro erhalten.
Die erste Übersicht der Staatsleistungen zeigt erstaunliche Unterschiede zwischen den Bundesländern wie den beiden Kirchen. Während Bremen und Hamburg nichts, das Saarland jährlich nur 59 Cent und Nordrhein-Westfalen 1,18 Euro leisten, kommen Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt auf über 12 Euro je Einwohner und Jahr. In den neuen Bundesländern werde durchschnittlich erheblich mehr geleistet als in den alten Ländern. Insgesamt habe die evangelische Kirche deutlich mehr Geld (7,5 Mrd. Euro) erhalten als die katholische Kirche (6,4 Mrd. Euro). „Diese Daten zeigen einmal mehr, dass die Begründung der Staatsleistungen mit historischen Entschädigungsansprüchen reine Makulatur ist“, so Carsten Frerk anlässlich der Vorstellung der Daten. „Die Höhe der Staatsleistungen hing vielmehr vom Verhandlungsgeschick der kirchlichen Vertreter ab.“
Die Autoren ermittelten erstmals auch die Staatsleistungen der DDR. Jene stellte die fragwürdigen Staatsleistungen nicht ein, sondern zahlte in den 40 Jahren ihres Bestehens rund 630 Millionen DDR-Mark an evangelische und katholische Kirche.
Anlässlich dieser Zahlungsbilanz legt die Humanistische Union einen Gesetzentwurf für die ersatzlose Aussetzung der Staatsleistungen vor. Dazu erklärt deren Vorstandsmitglied Johann-Albrecht Haupt: „Die Ablösung der Staatsleistungen wurde bisher stets mit Verweis darauf abgewehrt, dass der Staat nicht in der Lage sei, die bei einer Ablösung fälligen Entschädigungen zu zahlen. Diese Rechnungen lassen jedoch außer acht, wie viel die Länder seit 1919 an die Kirchen entrichtet haben. Die seit dem Inkrafttreten des Verfassungsgebotes zur Ablösung geleisteten Zahlungen betrachten wir als Ablöseleistungen.“ Nachdem von kirchlicher Seite Entschädigungen von ca. 12 Milliarden Euro gefordert wurden, sei die Ablösung bereits überzahlt – zumal in der jetzt ermittelten Nettosumme von 14 Milliarden Euro (ohne Inflationsausgleich) weder die Zahlungen zwischen 1920 und 1946 noch die von der DDR entrichteten Staatsleistungen berücksichtig seien.
Eine Fortsetzung der Zahlungen widerspräche aus Sicht der Bürgerrechtsorganisation Buchstaben und Geist unserer Verfassung, die seit 1919 eine Ablösung der Staatsleistungen als Teil der Trennung von Staat und Kirche vorschreibt. Eine Aussetzung der Staatsleistungen sei auch aus haushalterischer Sicht dringend geboten, so Johann-Albrecht Haupt: „Es kann nicht sein, dass die hoch verschuldeten öffentlichen Hände in verfassungswidriger Weise jährlich 460 Millionen Euro an zwei Kirchen zahlen, die selbst schuldenfrei, vermögend und zudem in der Lage sind, sich durch die von ihnen festzusetzende Kirchensteuer mit einem Aufkommen von rund 9 Milliarden Euro jährlich selbst zu finanzieren.“ Nachdem inzwischen selbst die Evangelische Kirche Deutschlands und die Deutsche Bischofskonferenz erklärt haben, dass sie einer Ablösung der Staatsleistungen nicht im Wege stünden, sei die Zeit für ein Ablösegesetz reif. Die Humanistische Union fordert deshalb den Bundesgesetzgeber auf, den Verfassungsauftrag umgehend zu erfüllen.
Die Humanistische Union hatte sich in den letzten Monaten vergeblich bemüht, die Daten zu den Staatsleistungen von den zuständigen Ministerien des Bundes und der Länder bzw. der evangelischen und katholischen Kirche abzufragen. Die Ministerien teilten übereinstimmend mit, dass sie den Umfang der Staatsleistungen nicht kennen würden, außerdem sei es ein „unvertretbarer Verwaltungsaufwand“, die Daten zu ermitteln. Die Autoren der Studie über Staatsleistungen, Johann-Albrecht Haupt und Dr. Carsten Frerk, erklären dazu: „Die von uns in wenigen Wochen ermittelten Zahlen liegen den kirchlichen und staatlichen Behörden aufbereitet in den jährlichen Haushaltsplänen vor; sie hätten nur schlicht addiert werden müssen. Die These vom unvertretbaren Verwaltungsaufwand grenzt an Lächerlichkeit.“ Die angebliche Unkenntnis sei vor allem deshalb bedenklich, weil Bund und Länder einen bestehenden Verfassungsauftrag zur Ablösung der Staatsleistungen beharrlich ignorierten und verdrängten. Zur Erfüllung des Ablösungsbefehls des Grundgesetzes hätten Bund und Länder wenigstens Angaben über die geleisteten Zahlungen vorrätig halten müssen.
Seit 1919 verpflichtet unsere Verfassung (Artikel 138 Weimarer Reichsverfassung i.V. mit Artikel 140 Grundgesetz) den Gesetzgeber, die allgemeinen Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen, sprich: zu beenden. Dafür soll der Bund ein entsprechendes Gesetz aufstellen.
Dessen ungeachtet zahlen die Bundesländer (mit Ausnahme Bremens und Hamburgs) an evangelische und katholische Kirche weiterhin pauschale Beträge, derzeit ca. 460 Millionen Euro pro Jahr, Tendenz steigend. Die von allen Steuerzahlen ohne Rücksicht auf ihre Religionszugehörigkeit zu tragenden Staatsleistungen nehmen in allen betroffenen Bundesländern (mit Ausnahme Berlins) stetig zu. Die Staatskirchenverträge, in denen diese Zahlungen festgeschrieben sind, sehen in der Regel eine Steigerung entsprechend der Entwicklung der Beamtenbesoldung vor. Bei den Staatsleistungen handelt es sich um Zuwendungen ohne jegliche Zweckbindung. Sie sind nicht zu verwechseln mit den an die Kirchen bzw. ihre Einrichtungen geleisteten Subventionen, etwa für Schulen, Hochschulen und Kindergärten, diakonische und karitative Einrichtungen, Entwicklungshilfe und dergleichen mehr. Unter die allgemeinen Staatsleistungen fallen auch nicht die staatlichen Mittel für Militär- und Anstaltsseelsorge, für Religionsunterricht oder Denkmalpflege und Baulasten der Kirchen. Alle hier genannten zweckgebundenen Zuwendungen werden vom Gesetzentwurf der Humanistischen Union zur ersatzlosen Ablösung der Staatsleistungen nicht berührt.
Datei-Download: Pressegespräch_Humanistische_Union_18.4.2011d