Der Reichsminister des Innern (Dr. Karl Jarres, parteilos) schickt an Reichskanzler Dr. Wilhelm Marx (Zentrum) eine Erklärung zu den Beschwerden des Abgeordneten Prof. D.Dr. Kahl (Deutsche Volkspartei), über unzulässige staatliche Forderungen des Personalabbaus bei den Kirchen und verweist auf ein in Arbeit befindliches Finanzausgleichsgesetz, dass die staatlichen Zuschüsse an die Mitgliederzahl der Kirchen angepasst werden müssen.
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Der Reichsminister des Innern Berlin N.W. 40, den 29. Dezember 1923.
Königsplatz 6
Nr. I 9246.
(Bitte in der Antwort Nr. und Betreff angeben)
An
den Herrn Reichskanzler.
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Betr. Verwaltungsabbau der
Religionsgesellschaften
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Zu den mir übergebenen Nachrichten des Professors
D.Dr. Kahl, wonach staatlicherseits in Thüringen und Sachsen
von Kirchengemeinden ein Abbau der Kirchenbeamtenschaft ver-
langt wurde, bemerke ich folgendes:
Wenn eine Landesregierung von den Körperschaften des
öffentlichen Rechts nach Artikel 137 der Reichsverfassung
Beamtenabbau verlangt, so stützt sie sich offenbar auf § 60
Abs. 5 in Verbindung mit § 60 Abs. 8 des Finanzausgleichsge-
setzes. Danach sind die Länder berechtigt, die Überweisung
der vom Reich gegebenen Zuschüsse für den Besoldungsaufwand
der Religionsgesellschaften „unter dem Gesichtspunkte des
Ausgleichs und des Abbaus der Zahl der Beamten und Ange-
stellten vorzunehmen.“ Nach Artikel 137 Abs. 3 der Reichsver-
fassung ordnet und verwaltet indessen jede Religionsgesell-
schaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schran-
ken des für alle geltenden Gesetzes. Dieser Grundsatz gilt
auch für die Körperschaften des öffentlichen Rechts nach
Artikel 137 Abs. 3. Aus ihm ergibt sich, daß es unzulässig ist,
der Kirche einen Abbau ihrer Beamten von Staats wegen vor-
zuschreiben. Ein solcher Abbau ließe sich nur mittelbar durch
die Bemessung und Verteilung der Besoldungszuschüsse herbei-
führen. Um aber auch in dieser Richtung von vorneherein der
Gefahr einer unbegründeten Einmischung des Staates in kirch-
liche Verhältnisse zu begegnen, wird in den zur Zeit in mei-
nem Ministerium vorbereiteten Grundsätzen für die Verteilung
der Zuschüsse an die Religionsgesellschaften nach § 60 Abs. 8
des Finanzausgleichsgesetzes darauf Bedacht genommen, dem
Gedanken des Ausgleichs des Abbaus von vorneherein inso-
fern eine einheitliche und feste Gestalt zu geben, als die
Verteilung der Zuschüsse auf die Religionsgesellschaften
innerhalb eines Landes nach deren Seelenzahl vorgeschrie-
ben wird. Damit wird im Sinne des „Ausgleichs und Abbaues“
der Forderung Rechnung getragen, daß der Umfang der kirch-
lichen Organisationen der Seelenzahl angepaßt sein muß.
Die Vertreter der evangelischen und katholischen
Kirche haben dieser Regelung zugestimmt.
(Unterschrift)
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