Aufwertung der Staatsleistungen wie Hypotheken?

In einer maschinenschriftlichen Notiz (DIN A 5, ohne offiziellen Briefkopf) schreibt der Ministerialrat Schlüter vertraulich an den Reichskanzler und die Herren Reichsminister, ob die Staatsleistungen für Kirchengemeinden nicht fatalerweise wie Hypothekengläubiger behandelt werden könnten.
___________________________________________________________________________________________

Der St.R.i.d.R.                                                                                                                                19. Februar 1924

Vertraulich!
Rk. 1452

Abschriftlich
dem Herrn Reichsminister der Justiz
dem Herrn Reichsminister der Finanzen
dem Herrn Reichsarbeitsminister
dem Herrn Reichsminister des Innern

auftragsgemäß zur gefälligen Kenntnisnahme ergebest übersandt.

gez. Bracht

__________________

A b s c h r i f t
Persönlich und eilig.                                        Berlin, den 15. Februar 1924.

Hochverehrter Herr Reichskanzler.

Heute wurde ich vom Reichsjustizministerium befragt, welche Gefah-
ren die 3. Steuernotverordnung für die Belange der Kirchen haben könnte
und wie diesen Gefahren vorgebeugt werden könnte.
Persönlich möchte ich dazu kurz folgendes bemerken.
Es ist natürlich möglich, eine unmittelbare Anwendung des Art. I auf
kirchliche Verhältnisse auszuschließen, wenn es auch schwer sein mag
angesichts der Verschiedenartigkeit der Rechtsverhältnisse (Ansprüche
aus Bullen und bullenmässigen Verhältnissen, aus Säkularisation,
aus Bewilligungen, aus Staatsleistungen, aus besonderen Rechtsti-
teln) eine umfassende Regelung und erschöpfende Fassung zu finden.

Was sich aber durch keine Fassung ausschließen läßt, ist die Tat-
sache, daß eine gesetzlich festgeschriebene Höchstgrenze sich zwangs-
läufig auch auf die kirchlichen Ansprüche anwenden wird. Diese
Zwangsläufigkeit, die auf der inneren Gleichheit der Ansprüche der
Kirche mit den Ansprüchen der Hypothekengläubiger beruht, aber auch
ohne Anerkennung welcher inneren Verwandtschaft sich geltend macht,
wird alle Leistungen des Staates an die Kirchen beherrschen. Für
Preußen gilt:

Schon jetzt sind alle Fälle bis zur Regelung der Aufwertungsfra-
ge zurückgestellt; zur Zeit behelfen wir uns notdürftig mit einer
Zwischenregelung. Ich kann mir keinen Finanzminister denken, der
nicht den Grundgedanken der Beschränkung der Aufwertung sich aneig-
net. Will der Staat aber mehr geben, dann werden gewisse politische
Parteien kapital für die Wahlen daraus schlagen.

Der Schaden, der der Kirche aus Art. I der 3. Notverordnung droht,
ist unübersehbar. Wie er sich auswirken wird, entzieht sich jeder
Voraussicht. Es ist aber damit zu rechnen, daß Art. I für die An-
sprüche aus den Säkularisation geradezu verhängnisvoll sein und das,
was man vor hundert Jahren der Kirche zu nehmen gescheut hat,
jetzt der Kirche nehmen wird. Mit äusserster Besorgnis sehe ich als
Referent in die Zukunft. Es wäre mehr als eine Tragödie, wenn jetzt
den vielen Kirchengemeinden alles bis auf 10 % genommen würde.

Im Interesse der Sache stehe ich zur näheren Darlegung der kirch-
lichen Verhältnisse zur Verfügung jederzeit.

In vorzüglicher Verehrung und
sehr ergebenst
gez. Schlüter, Min.R.

[unleserlich]

(Unterschrift)

Download der Datei:  1924_02_19_Referent_an_RK_wegen_3._Steuernotverordnung