Der Landesrechnungshof Schleswig-Holstein hat in seinem Jahresbericht 2011 erneut eine Anpassung der Kirchenverträge an die geänderten Verhältnisse gefordert. Die Staatsleistungen des hoch verschuldeten Bundeslandes könnten dadurch von 12 Mio. Euro auf bis zu 4 Mio. Euro gesenkt werden.
__________________________________________________________________________________________
Der Präsident des Landesrechnungshofs, Dr. Aloys Altmann, zur heutigen Veröffentlichung der Bemerkungen zum Jahresbericht 2011 des Landesrechnungshofes:
„Schleswig-Holstein steht nach wie vor finanziell am Abgrund. Für die Zukunft des Landes ist von entscheidender Bedeutung, dass der jetzt eingeschlagene Sanierungskurs nicht verlassen wird. Daran dürfen auch Proteste gegen Sparmaßnahmen oder Landtagswahlen nichts ändern. Regierung und Opposition stehen gemeinsam in der Verantwortung für unser Land. Sie müssen den Bürgern erklären, warum es notwendig ist, Standards zu senken, Leistungen zu kürzen und Steuern zu erhöhen. Erforderlich ist ein differenziertes Sanierungsprogramm für die Zeit bis 2020. Das Programm muss mit konkreten Maßnahmen für jedes Ressort unterlegt werden. Fachressorts und Fachpolitiker stehen in der Pflicht, entsprechende Einsparvorschläge zu erarbeiten.“
[…]
Kurzfassung:
Nr. 11 Staatsleistungen an die Kirchen steigen weiter – Änderung nicht in Sicht
Immer weniger Schleswig-Holsteiner sind Mitglied der Kirchen. Die Staatsleistungen an die Kirchen berücksichtigen diese Entwicklung nicht. Sie steigen Jahr für Jahr.
Der Landesrechnungshof hatte bereits 2007 empfohlen, die Kirchenverträge an die geänderten Verhältnisse anzupassen. In diesem Fall könnten die Staatsleistungen von 12 Mio. € auf bis zu 4 Mio. € pro Jahr gesenkt werden.
Die Verhandlungen mit der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche haben bislang zu keinem Ergebnis geführt. Sie werden dadurch erschwert, dass das Land die geänderten Verhältnisse auch in dem kürzlich geschlossenen Vertrag mit der römisch-katholischen Kirche nicht berücksichtigt hat. Die Landesregierung wird sich diesem Bereich zukünftig verstärkt widmen müssen.
[…]
Langfassung:
11. Staatsleistungen an die Kirchen steigen weiter – Änderung nicht in Sicht
Die Staatsleistungen an die Kirchen steigen von Jahr zu Jahr. Grundlage dafür ist der seit 1957 nicht veränderte Schleswig-Holsteinische Kirchenvertrag. Er koppelt die Staatsleistungen an die Beamtenbesoldung.
Bereits 2007 hat der LRH empfohlen, den Vertrag an die geänderten Verhältnisse anzupassen. Der Landtag hat die Landesregierung aufgefordert, entsprechende Verhandlungen aufzunehmen.
Erst Ende 2010 hat die Landesregierung Verhandlungen mit der Kirchenleitung aufgenommen. Ein Ergebnis zeichnet sich nicht ab.
Das Land muss sparen. Tabubereiche darf es nicht geben. Die Berechnung der Staatsleistungen muss auf eine neue Grundlage gestellt werden. Dann sind Einsparungen in Millionenhöhe möglich.
Das Land zahlt der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (NEK) und der römisch-katholischen Kirche jährlich Zuschüsse für die Kirchenverwaltung, Pfarrbesoldung und -versorgung sowie die Bauunterhaltung (Staatsleistungen). Die Zuschüsse werden nicht für karitative und kulturelle Leistungen der Kirchen gewährt. Grundlage für die Zahlungen sind der Schleswig-Holsteinische Kirchenvertrag (SHKV) von 1957 und der 2009 mit der römisch-katholischen Kirche geschlossene Vertrag .
Beide Kirchenverträge sehen vor, dass die Staatsleistungen jährlich an die Entwicklung der Beamtenbesoldung des Landes angepasst werden.
Die bei Abschluss des SHKV maßgeblichen Verhältnisse haben sich verändert:
– Der SHKV ist 1957 zwischen dem Land und den Landeskirchen Schleswig-Holstein, Eutin und Lübeck geschlossen worden. Der Landtag hat dem Vertrag zugestimmt.
Seit 1977 ist die NEK der Zahlungsempfänger, ohne dass der SHKV angepasst worden ist.
2012 wird sich der Vertragspartner des Landes erneut ändern. Die NEK wird sich mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche zu einer „Nordkirche“ zusammenschließen. Spätestens dann muss der Landtag über einen Kirchenvertrag mit der „Nordkirche“ als Rechtsnachfolgerin der NEK entscheiden.
– Immer weniger Schleswig-Holsteiner sind Mitglied der NEK. Waren laut Volkszählung 1950 noch 88 % Mitglied einer evangelisch-lutherischen Kirche, ist der Anteil Ende 2008 auf 53,8 % gesunken. Die Tendenz ist weiter fallend.
– Die Staatsleistungen sind an die Entwicklung der Beamtenbesoldung gebunden (Dynamisierung). Die Besoldungsstrukturen im öffentlichen Dienst haben sich seit 1957 mehrfach verändert. Strukturverbesserungen und lineare Erhöhungen haben die Staatsleistungen um mehr als das 7,5-fache steigen lassen. Zum Vergleich: Die Verbraucherpreise haben sich im selben Zeitraum um das 4-fache erhöht.
[Tabelle Staatsleistungen]
Bereits 2007 hat der LRH empfohlen, den SHKV an die geänderten Verhältnisse anzupassen. Der Landtag hat die damals zuständige Staatskanzlei aufgefordert, mit der NEK entsprechende Verhandlungen aufzunehmen.
Vor dem Beginn der Verhandlungen mit der NEK hat das Land den Vertrag mit der römisch-katholischen Kirche geschlossen. Der Landtag hat dem Vertrag zugestimmt. Die Regelungen über die
Staatsleistungen entsprechen dem SHKV. Beide Kirchenverträge enthalten keine Kündigungsklausel. Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Vertrags sind auf freundschaftliche Weise zu beseitigen (sog. Freundschafts- oder auch Ewigkeitsklausel). Das Land hat durch dieses Vorgehen die zeitgemäße Anpassung des SHKV erschwert.
Erst Ende 2010 haben NEK und Landesregierung eine gemeinsame Kommission gebildet, um über die Anpassung des SHKV zu verhandeln.
Für das Land sind neben den Staatssekretären des Kultus- und des Finanzministeriums und der Staatsekretärin des Sozialministeriums auch ein Abgeordneter der SPD-Fraktion und eine Abgeordnete der CDU-Fraktion Mitglieder der Kommission. Ergebnisse liegen nicht vor.
Die Haushaltsstrukturkommission hat im Mai 2010 beschlossen, dass „alle Aufgabenbereiche grundsätzlich ihren Beitrag zur Konsolidierung des Gesamthaushalts leisten“. Im Budget für Zuweisungen, Zuschüsse und Investitionen seien strukturelle Veränderungen und Kürzungen erforderlich.
Von den Einsparungen dürfen auch die Staatsleistungen an die Kirchen nicht ausgenommen werden. Insbesondere muss die Dynamisierung abgeschafft werden. Einsparpotenziale in Millionenhöhe bestehen, wenn die Staatsleistungen nicht automatisch an die schleswig-holsteinische Beamtenbesoldung angepasst werden. Der 1957 festgelegte Grundbetrag von 1.483 T€ entsprach 0,65 € „pro Seele“. Heute wären unter Berücksichtigung der Preissteigerung 2,60 € „pro Seele“ zu zahlen. Da außerdem die Zahl der Kirchenmitglieder auf 1,5 Mio. in Schleswig-Holstein zurückgegangen ist, sollte das Land eine Neufestsetzung der Staatsleistungen an die NEK von 4 Mio. € anstreben. Das Einsparpotenzial liegt bei über 8 Mio. € pro Jahr.
Im Übrigen erinnert der LRH an die seit 1919 bestehende Pflicht des Landes, die Staatsleistungen abzulösen. Der Verfassungsauftrag an den Bund, die dafür erforderlichen Grundsätze zu erlassen, ist auch 60 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes nicht erfüllt.
Das Ministerium für Bildung und Kultur hat von einer inhaltlichen Stellungnahme abgesehen. Die Verhandlungskommission habe ihre Arbeit aufgenommen und für die Zeit der Beratungen Stillschweigen vereinbart. Das Ministerium gehe davon aus, dass die Verhandlungen noch im Jahre 2011 abgeschlossen werden könnten.
Download der Datei: 2011_05_13_Landesrechnungshof_SH_zu_Staatsleistungen